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13HERAEUS | JAHRESBERICHT 2014 | ESSAY Hier kommt auf unsere Gesellschaft in allen Bereichen eine große Aufgabe zu. Und besonders auf die deutsche Industrie, wollen wir in den kommenden Jahrzehnten weiterhin eine tragende Rolle auf den internationalen Märkten einnehmen. „Weiter so“ ist derzeit der schlech- teste Rat, den man geben kann. Alte Gewissheiten müssen hinterfragt, neue Lösungsstrategien entwickelt werden. Das Verwalten unseres hohen Status quo reicht beileibe nicht aus. Doch der Wandel fällt uns nicht leicht: Bereits in der Schule werden Inhalte aus Lehrplänen vermittelt, die teilweise vor Jahrzehnten festgelegt wurden. Dabei setzt dort die not- wendige Wissensvermittlung ein, die insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels noch wichtiger wird. Die Schüler von heute sind die Fachkräfte von morgen. Sie müssen neben dem Grundlagenwissen schon früh mit Strategien zum selbständig, lösungsorientierten und flexiblen Handeln ausgestattet werden. Die Hürde der Null-Fehler-Toleranz überwinden Auch Universitäten müssen sich auf die neuen Verhältnisse einstellen: Der in Deutschland ausgebildete Ingenieur bildet nach wie vor eine wichtige Säule für den Erfolg der deutschen Industrie. Eine Grundlage dieses Erfolgs war bislang das Diktum der Null-Fehler-Toleranz: Ein Produkt ist erst dann verkaufsfähig, wenn alle Kinderkrankheiten beseitigt und die Wertigkeit hoch bis perfekt ist. „Made in Germany“ wird weltweit mit dieser Idee verknüpft. Leider benötigt dieses Vorgehen viel Zeit. Zu viel Zeit. Der Blick nach Asien zeigt, dass die dortigen Universitäten aufge- schlossen haben und in großer Zahl hervorragende Inge­nieure ausbilden. Deren Kultur ist wiederum nicht von der Null- Fehler-Toleranz, sondern von einem iterativen Ansatz geprägt. Dieser gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Produkte in höherer Geschwindigkeit in mehreren Innovationszyklen auf den Märkten zu entwickeln. Ein Beispiel: Die deutsche Automobilindustrie ist nach wie vor der weltweite Innovationsstandard. Diesen Stand haben wir seit 1896, also in rund 130 Jahren entwickelt. Der jungen koreanischen Automobilindustrie ist es gelungen, sich innerhalb von 30 Jahren an europäische Sicherheits- standards heranzuarbeiten und die Chinesen werden folgen. Woran liegt das? Der chinesische Ingenieursnachwuchs erhält zum einen das nötige fachliche Know-how, was große Lücken schließt. Zum anderen tragen sie nicht schwer an der Tradition der Null-Fehler-Toleranz. Nach ihrer Ansicht sind Entwicklungszyklen dazu da, Schwachstellen zu er- kennen und diese zu eliminieren. Aber das Produkt wird viel früher als marktreif eingeschätzt und währenddessen weiter- entwickelt. Mit dieser geistigen Freiheit, die sich nicht an der Fehlersuche im Bestehenden aufhält, sondern an der Umsetzung einer großen Vision orientiert, nehmen Entwicklungen ein Tempo auf, dem wir oftmals nur kopf- schüttelnd zuschauen. Ungewissheit als Chance zur Veränderung Mit dieser Geschwindigkeit werden oftmals ganze Innovations- zyklen übersprungen und Raum für Neues geschaffen. Elon Musk von Tesla ist ein Quereinsteiger auf dem Gebiet der Automobiltechnik. Doch seine Vision der Ablösung des Verbrennungsmotors hat ihn in nur zwölf Jahren von der Unternehmensgründung zu serienreifen Fahrzeugen gebracht, die den Großen der Branche zum Teil technisch überlegen sind. Erreicht hat Musk dies durch drei wesentliche Eigen- schaften: Der Wille, Veränderungen auch gegen widrigste Umstände herbeizuführen. Die Fähigkeit, Bestehendes nicht als gegeben anzunehmen, sondern „out of the box“ vollständig neue Lösungswege zu entwickeln und zu ver- folgen. Und zuletzt der Mut, eine Vision zu formulieren und diese mit aller Konsequenz zu verfolgen. Auch die organisa- torische Basis richtet sich flach und funktional nach den jeweiligen Kompetenzen aus. So wird der Abbau hierar- chischer Hürden befördert, um Ideen schnell umzusetzen. Es ist nicht sicher, ob Tesla jemals auf dem Massenmarkt gegen die Großen bestehen wird. Doch der Innovations- sprung, das erste ernst zu nehmende, weil alltagstaugliche Auto mit Elektromotor marktreif zu machen, hält die Entwick- lungsabteilungen der großen Hersteller auf Trab. Aus dieser Offenheit für Neues und der Bereitschaft, Fehler als Teil eines Prozesses zuzulassen und die Ungewissheit als Chance für Veränderungen zu erkennen, können und müssen wir lernen. Wir verfügen heute über ein einmaliges technologisches Potenzial, das in Zukunft alleine nicht aus- reichen wird. Die relevanten Entwicklungen werden dort geschehen, wo Raum für neue Ideen und schnelle Anpas- sungen gegeben wird. Wenn es uns gelingt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, werden wir unser techno- logisches Know-how nicht nur erfolgreich weiterentwickeln, sondern mit ihm auch übermorgen im globalen Wettbewerb bestehen. ■

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